Es war einmal, im fernen florentinischen XVI. Jahrhundert, ein Graf, mit Namen Giovanni Bardi di Vernio, der den Geist der griechischen Tragödie wiederbeleben wollte. Dafür versammelte er Literaten und Musiker, um in einem mit Renaissance-Neoplatonismus durchsetzten Kreis eine neue Gattung auszuarbeiten – genannt die Favola in Musica. Er hatte vor, ein Musikdrama auf der Bühne aufzuführen; ein Drama, das aus den Tiefen des menschlichen Wesens, aus den affetti (Hingabe) oder passioni (Leidenschaften – heute würden wir Emotionen sagen) hervorging. Somit wurden die Wörter belebt, sodaß die Melodie im platonischen Sinne des Wortes daraus hervorbreche (künstlerische Gestaltung, in welcher der Gesang mit der instrumentalen Begleitung interagiert). Die arte della gorgia (Kunst der Kehle oder „ornamentierter“ Gesang) und das recitar cantando (singend rezitieren) stellen sich somit in Dienst des Theaters, um die Handlungen der Menschen in der Musik darzustellen. Musiker in verringerter Anzahl, die hinter der Bühne angesiedelt sind, kleine Theaterräume und Respekt vor dem Wesen des Wortes und dem Stimmorgan (die Flexibilität der Stimmbänder erlaubt die Behendigkeit); das alles trägt zum natürlichen Gebrauch der Stimme bei: die Geburtsstunde des authentischen guten und schönen Gesangs, dessen Entwicklung nicht immer glücklich für den Stimmgebrauch im Gesang (Vocalità/Vokalität) verlief.
Danach entwickelt sich das Musiktheater, in dem es aus den Adelkreisen in das öffentliche Theater übergeht: der Theaterraum, der mit beeindruckenden Maschinen und Effekten begeistert, vergrößert sich; auch das Orchester (es nimmt Platz vor der Bühne ein, der später Orchestergraben werden wird) und die Stimme muß schweren akustischen Realitäten und den Anforderungen eines immer stärker ornamentierten Stils entsprechen (wir denken an die „volatine“ von Rossini).
Nach und nach wurde die Gattung umgestaltet und Melodramma (Singspiel) oder Oper genannt.
In der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts vergrößert sich das Orchester der Oper bis zum symphonischen Ausmaß und es wird vom Sänger verlangt, seine Bravour, bei einer Stentorverwendung der Stimme, auf Kosten der Gesundheit der Stimmbänder, zu zeigen. Die Welt des Melodramma des XIX. Jahrhunderts ist geteilt zwischen den Anhängern und den Verächtern des mit Überanstrengung erzeugten Gesangs.
In der Zwischenzeit wird in Italien, und das schon vom Ende des XVI. Jahrhunderts an, das Lied in einfacher polyphonischer Form und von volkstümlicher Eingebung gepflegt, und es breitet sich in verschiedener Art und Weise aus; eine davon ist das Madrigal, das sich auch für die Aufführung eignet; es erhält neue Harmonien in den Werken von Fürst Carlo Gesualdo da Venosa, nach Meinung einiger, der Erfinder des canto affettuoso (Affekt-Gesangs). Das Lied drückt später den Volksschrei aus, der im Zuge der französischen Revolution hereinbricht: der Stimmgebrauch wird gefährdert. Die belle époque gibt glücklicherweise den Sängern mit minder starken aber flexiblen Stimmen die Gelegenheit, sich in der Operette darzustellen, sodaß das Lied auch mit einem richtigen Stimmsitz ausgeführt wird. Als Wiege des bel canto wird Italien berühmt durch das neapolitanische Lied, Ausdruck der Bodenständigkeit der Kultur. Im Allgemeinen wird nun leider wieder das Lied mit Hilfe der Bruststimme interpretiert; gleichzeitig macht das Musical Furore.
Folglich hat Italien sich eine wesentliche Rolle in der Entwicklung der Vokalität geschaffen. Neuerdings hat sich die Hals-Nasen-Ohrenfach Disziplin im Bereich der Stimme spezialisiert, indem sie die Phoniatrie erfand: diese erlaubt, das Instrument Stimme durch ein Studium der Anatomophysiologie zu erkennen und - indem andere Fächer integriert werden - jeden Mißbrauch (malmenage, maluso) oder jede Überanstrengung (surmenage, abuso) zu verhindern; sie rät eindringlich allen eine natürliche Stimmausbildung an, womit sie die Regeln aus dem XVII. Jahrhundert wiederbelebt.
An diesem Punkt hat das CENTRO CANTO CESENATICO (Inhaberin Geneviève Barboni Yans) die Initiative ergriffen, den historischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Kenntnisse eine interaktive pädagogische Dimension zuzuteilen. Auf der Grundlage der Phoniatrie (und verbundenen Wissenschaften) bzw. der Entwicklung der Stile hat das Centro eine ultramoderne Methodologie definiert. Sie beginnt mit dem richtigen Gebrauch der Stimme im Gesang; sie betrachtet dann die Ausbildung oder die Rehabilitation des phonatorischen Gerüsts eines jeden, je nach der Notwendigkeit der Gesangsart, die er ausübt, wohlwissend, daß von der Oper ein größeres Potential der Kapazität verlangt wird und dass eine ausgeglichene Persönlichkeit für die Reife der Stimme unentbehrlich ist. Ihre Entwicklung ist Teil des Programms der Stimmarbeit, das sich mit der Person beschäftigt, um ihre Stimme auszubilden, und das sich um die Stimme kümmert, um der Person körperliches und geistiges Wohlbefinden zu verschaffen.
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